AUT*CIA – Chancengleichheit von schwerbehinderten Frauen mit HFA⁠/​AS im Arbeitsleben

Unsere Fragen wurden im Februar 2025 von Dr. Hannah Krohn (Berufsbildungswerk St. Franziskus, wissenschaftliche Projektleitung im Projekt AUT*CIA) beantwortet.


Welche Ziele haben Sie sich im Projekt AUT*CIA gesetzt?

Im Rahmen des Projekts AUT*CIA wollten wir die spezifische Situation von autistischen Frauen im Hinblick auf ihre beruflichen Herausforderungen untersuchen. Ziel war die Identifizierung der Faktoren, die einer gleichberechtigten und nachhaltigen Teilhabe dieser Frauen im Arbeitsleben im Wege stehen. Die Untersuchung der Auswirkungen der späten Diagnosestellung von Autismus auf den beruflichen Werdegang autistischer Frauen und die daraus resultierenden benachteiligenden Erfahrungen im Berufsalltag, sollte dabei genauer untersucht werden. Eine der wenigen Studien zu diesem Thema von Taylor et al. aus dem Jahre 2019 verdeutlicht, dass autistische Frauen häufig mit besonderen Belastungen konfrontiert sind, die bislang vor allem aus einer genderspezifischen Perspektive weniger erforscht wurden. Die Identifizierung und das Verständnis dieser Herausforderungen stellte eine zentrale Forschungsaufgabe dar, da frühere Studien in Deutschland zu Autismus und Beruf keine geschlechtsspezifischen Auswertungen lieferten. Ein weiteres Anliegen war die Untersuchung der bestehenden Unterstützungsmaßnahmen, um herauszufinden, welche Hilfen den betroffenen Frauen zur Verfügung stehen und wie diese ausgebaut oder angepasst werden können. Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse wollten wir im Projekt neue, maßgeschneiderte Angebote entwickeln, die autistische Frauen dabei unterstützen sollten, langfristig im Berufsleben integriert zu bleiben. Zu diesem Zweck wurde von uns ein Mixed-Method-Ansatz verfolgt, bei dem strukturierte Leitfadeninterviews aufbauend auf einer online Querschnittsstudie eingesetzt wurden, um umfassende und tiefgehende Erkenntnisse zu gewinnen. Ziel war es, die individuellen Erfahrungen und Bedürfnisse autistischer Frauen sowie die systemischen Faktoren, die zu ihrer benachteiligten Teilhabe beitragen, detailliert zu erfassen.

 

Gibt es Themen und Schwerpunkte, die sich für Sie im Projekt als besonders wichtig herausgestellt haben, wenn es um die Verfolgung dieser Ziele geht? Falls ja: Welche?

Die Ergebnisse, die wir im Rahmen des Forschungsprojekts AUT*CIA gewonnen haben, weisen darauf hin, dass autistische Frauen im Berufsleben mit mehr Herausforderungen konfrontiert sind als autistische Männer. Diese Diskrepanz zeigte sich insbesondere in den Ergebnissen der Querschnittsstudie, welche wir im Projekt durchgeführt haben. Autistische Frauen berichteten von erhöhten Belastungen im sozialen Miteinander, in der Kommunikation sowie durch sensorische Reize im beruflichen Kontext. Zudem wurde festgestellt, dass die Diagnose „Autismus" bei Frauen im Durchschnitt deutlich später gestellt wurde (mit ca. 30 Jahren) als bei befragten Männern (mit ca. 23 Jahren). Die Ergebnisse der im Projekt geführten Leitfadeninterviews verdeutlichten die Wichtigkeit übersetzender Personen im sozialen Kontext für autistische Menschen, insbesondere für Frauen. Die befragten Autistinnen betonten, dass durch Ansprechpartner soziale Konflikte niedrigschwellig geklärt werden konnten und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt wurden. Ein bedeutender Aspekt der Untersuchung ist die Tatsache, dass viele der interviewten autistischen Frauen angaben, ihre autismustypischen Merkmale bewusst zu verbergen. Dies wird von autistischen Personen als äußerst anstrengend empfunden und verbraucht viele Energieressourcen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Stress. Bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz berichteten die autistischen Frauen von erhöhtem psychosozialem Stress, was zu ernsthaften gesundheitlichen psychischen wie auch physischen Beeinträchtigungen führte. Ein bedeutender Anteil der interviewten Frauen berichtete von anhaltenden Belastungen, die eine dauerhafte Beeinträchtigung ihrer psychischen und physischen Gesundheit zur Folge hatten. Die Ergebnisse der Studie zeigten zudem, dass viele der befragten autistischen Frauen über hochqualifizierte Abschlüsse verfügten, was besonders bemerkenswert ist, da sie häufig aufgrund verschiedener Herausforderungen im Arbeitsumfeld nicht in dem Umfang arbeiten konnten, der ihren Fähigkeiten entsprach, oder als Folge in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt waren.

 

Was sind für Sie zentrale Herausforderungen, mit denen Sie innerhalb der Projektlaufzeit konfrontiert wurden?

Eine der wesentlichen Herausforderungen bestand darin, spezifische Unterstützungsmöglichkeiten für berufliche Schwierigkeiten von Menschen mit Autismus zu sammeln. Trotz des Vorhandenseins von Beratungsstellen wie Integrationsfachdiensten und vielen bereits bestehenden Unterstützungsleistungen wurde deutlich, dass es für Betroffene oft sehr schwierig ist, sich im Dschungel der Hilfsangebote zurechtzufinden – insbesondere in belastenden Lebenssituationen.

 

Mit welchen Lösungsansätzen sind Sie diesen Herausforderungen gegenübergetreten?

Nach einer umfassenden Recherche und aufbauend auf den Erkenntnissen der Studienergebnisse erstellten wir im Projekt die unter www.autismusundarbeit.de abrufbare barrierefreie Website für Menschen mit Autismus, die Hilfestellungen und Ideen für spezifische Herausforderungen im beruflichen Kontext bereitstellen sollte. Des Weiteren wurde ein Bereich der Homepage speziell für Arbeitgebende eingerichtet, mit dem Ziel, diese mit relevanten Informationen zu Autismus und entsprechenden Anlaufstellen zu versorgen. Aufbauend auf den Studienergebnissen erstellten wir zudem kurze Videos, um das Wissen und Verständnis für autistische Personen, insbesondere in Bezug auf autistische Frauen, zu vermitteln.

 

Ausgehend von Ihren im Projekt gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen: Mit welchen Maßnahmen kann die Chancengleichheit von Frauen mit Autismus im Arbeitsleben gestärkt werden? Welche Handlungsempfehlungen würden Sie ausgehend von den Projektergebnissen in diesem Zusammenhang aussprechen?

Zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Autismus im Arbeitsleben halten wir die Verbreitung von Wissen über Autismus an zahlreichen Stellen für unerlässlich. Ein Mangel an Wissen führt zu einem unzureichenden Verständnis für die spezifischen Besonderheiten von Menschen mit Autismus, insbesondere für autistische Frauen, die durch das bewusste Verbergen ihrer autismustypischen Verhaltensweisen oft weniger auffallen. Dies kann zu einer erheblichen Belastung führen. Maßnahmen, die darauf abzielen, die Situation von Menschen mit Autismus im Arbeitsleben zu verbessern, wie beispielsweise Psychotherapie oder Jobcoaching, können in Ermangelung des Wissens der Fachpersonen über die Besonderheiten von Autismus nicht ausreichend effektiv sein. Dies beginnt bereits bei der Berufsberatung, wo die Anwesenheit geschulter Fachkräfte erforderlich wäre, um die individuellen Besonderheiten und Stärken von Menschen mit Autismus sowie die spezifischen Faktoren der einzelnen Personen zu berücksichtigen. Durch das Projekt AUT*CIA hoffen wir, mehr Bewusstsein für Autismus im Arbeitsleben geschaffen zu haben. Neben den erstellten Videos auf der Homepage entstand durch das Projekt auch ein Schulungsvideo der BIH für Schwerbehindertenvertretungen und Inklusionsbeauftragte.

 

Welche Erkenntnisse, die Sie innerhalb der Projektlaufzeit gewinnen konnten, würden Sie als besonders wichtig bezeichnen?

Viele der interviewten Menschen mit Autismus berichteten uns, dass zahlreiche Personen keine Kenntnisse oder überholte Vorstellungen über Autismus hatten. Speziell im Kontakt mit dem Gesundheitssystem berichteten sie, dass nur wenige Therapeuthen und Ärzte über Autismus, besonders Autismus und Frauen, informiert waren. Diese Berichte decken sich mit den Ergebnissen einer Studie von Lipinski et al. aus dem Jahre 2022: Viele erlebten die Diagnosestellung als eine große Erleichterung und hätten sich gewünscht, die Diagnose früher erhalten zu haben.

Um auch Geschlechtsunterschiede sichtbarer zu machen, halten wir es deshalb für wichtig, in wissenschaftlichen Studien auch nach Geschlechtern getrennt auszuwerten. Dies geschieht häufig nicht, wodurch Unterschiede nicht deutlich werden.

 

Wenn Sie auf die Zielsetzung des Projekts sowie dessen Verlauf zurückblicken: Wo sehen Sie nach Abschluss von AUT*CIA weiteren Forschungsbedarf und welche Fragestellungen würden Sie in diesem Kontext benennen?

Einen weiteren Forschungsbedarf sehen wir mit Blick auf Personen, die sich in der Querschnittsstudie von AUT*CIA dem Geschlecht „divers" zuordneten. Diese Gruppe zeigte ebenso viele Belastungsfaktoren und Schwierigkeiten im beruflichen Kontext wie die der Autistinnen. Um ein besseres Verständnis gegenüber dieser Personengruppe zu erlangen, sollten sich künftige Forschungsvorhaben mehr mit den spezifischen Herausforderungen und Unterstützungsbedarfen dieser Gruppe beschäftigen.

Espelöer, J., Proft, J., Falter-Wagner, C. M., & Vogeley, K. (2023). Alarmingly large unemployment gap despite of above-average education in adults with ASD without intellectual disability in Germany: a cross-sectional study. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience, 273(3), 731-738.

Frank, F., Jablotschkin, M., Arthen, T., Riedel, A., Fangmeier, T., Hölzel, L. P., & Tebartz van Elst, L. (2018). Education and employment status of adults with autism spectrum disorders in Germany–a cross-sectional-survey. BMC psychiatry, 18, 1-10.

Hull, L., Petrides, K. V., Allison, C., Smith, P., Baron-Cohen, S., Lai, M.-C., & Mandy, W. (2017). “Putting on my best normal”: Social camouflaging in adults with autism spectrum conditions. Journal of autism and developmental disorders, 47, 2519-2534.

Kirchner, J. C., & Dziobek, I. (2014). Toward the successful employment of adults with autism: a first analysis of special interests and factors deemed important for vocational performance. Scandinavian Journal of Child and Adolescent Psychiatry and Psychology, 2(2), 77-85.

Taylor, J. L., Smith DaWalt, L., Marvin, A. R., Law, J. K., & Lipkin, P. (2019). Sex differences in employment and supports for adults with autism spectrum disorder. Autism, 23(7), 1711-1719.

Ziele des Projektes

AUT*CIA untersuchte die berufliche Situation autistischer Frauen. Ziel war es, herauszufinden, welche Faktoren ihre gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben behindern.

Zudem sollten im Projekt Hilfen entwickelt werden, um betroffene Frauen langfristig im Berufsleben zu stärken.

Besonders wichtige Themen

Die Studie zeigte, dass autistische Frauen häufiger unter sozialen Belastungen, Kommunikationsproblemen und Reizüberflutung leiden als Männer.

Auch der Zusammenhang zwischen Arbeitsplatz-Stress und gesundheitlichen Problemen wurde deutlich. Obwohl viele Frauen hochqualifiziert waren, konnten sie ihre Fähigkeiten oft nicht beruflich einbringen.

Herausforderungen im Projekt

Eine große Herausforderung war es, einen Überblick über die bestehenden Hilfsangebote zu gewinnen.

Viele Betroffene finden sich in der Vielfalt an Unterstützungsstellen nur schwer zurecht – vor allem in belastenden Lebensphasen.

Lösungsansätze gegenüber diesen Herausforderungen

Als Antwort auf diese Probleme wurde die barrierefreie Website www.autismusundarbeit.de entwickelt. Sie bietet Betroffenen und Arbeitgebenden konkrete Informationen und Hilfen.

Besonders wichtige Erkenntnisse

Es gibt große Wissenslücken über Autismus, besonders bei Frauen. Viele erlebten die Diagnose, auch wenn sie verspätet stattfand, als entlastend.

Studien sollten daher künftig spezifische Auswertungen enthalten, um Unterschiede sichtbar zu machen.

Handlungsempfehlungen aus dem Projekt

Mehr Wissen über Autismus muss verbreitet werden – in der Berufsberatung, bei Arbeitgebenden und Fachkräften.

Schulungen und gezielte Informationsmaterialien sind dafür zentrale Bausteine.

Weiterer Forschungsbedarf

Zukünftige Studien sollten sich stärker mit autistischen Personen befassen, die sich als geschlechtlich divers identifizieren.

Diese Gruppe zeigte ähnliche Belastungen wie Frauen, wird aber bislang kaum berücksichtigt.

Zudem sind sspezifische Auswertungen in allen Forschungsbereichen zu Autismus notwendig.


Womit wurde sich im Projekt AUT*CIA beschäftigt?