ICh – Ich habe eine Chance
Interview zum Abschluss des Projektes ICh, in dem erprobt wurde, wie eine veränderte Zusammenarbeit von Zuständigen für SGBII Beziehenden mit mehrfachen gesundheitlichen Einschränkungen erprobt wurde.
Unsere Fragen wurden im November 2024 von Nicole Wulff (Jobcenter Ostholstein) beantwortet.
Welche Ziele haben Sie sich im Projekt ICh gesetzt?
Ziel des Projektes ICh war eine verbesserte Betreuungsstruktur der Kunden mit mehrfach gesundheitlichen Einschränkungen des Jobcenters Ostholstein. Zusammen mit unseren Kooperationspartnern, bestehend unter anderem aus der Deutschen Rentenversicherung, Krankenkassen und dem Kreis Ostholstein wollten wir sowohl räumlich als auch organisatorisch kürzere Wege innerhalb der Betreuungsstruktur dieser Kunden einrichten. Die Betreuung dieses Kundenstammes ist häufig organisatorisch und bürokratisch sehr komplex. Im Projekt sollte dieser Komplexität entgegengewirkt werden, die Kunden durch diese veränderten Strukturen entlastet und deren individuelle Bedarfe in den Mittelpunkt gerückt werden.
Zugleich sollte im Projekt das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Zuständigkeiten und Aktivitäten der unterschiedlichen Akteure, die in die Betreuung dieses Kundenstammes eingebunden sind, verbessert werden.
Gibt es Themen und Schwerpunkte, die sich für Sie im Projekt als besonders wichtig herausgestellt haben, wenn es um die Verfolgung dieser Ziele geht? Falls ja: Welche?
Innerhalb des Projektes sowie dessen Beantragung im Jahre 2018 wurde uns dreierlei verstärkt bewusst: Wie wenig gesundheitliche Probleme innerhalb der Arbeit des Jobcenters Ostholstein üblicherweise bei der Integration unserer Kunden in den Arbeitsmarkt berücksichtigt wurden, wie wichtig dieses Thema für unsere Arbeit ist und welchen erheblichen Anteil psychische Beeinträchtigungen unter den gesundheitlichen Einschränkungen haben. Dabei wurden die psychischen Erkrankungen unserer Kunden häufig durch deren lange Arbeitslosigkeit und die durch diese bedingten geringen finanziellen Ressourcen ausgelöst. Entsprechend waren die Themen Einsamkeit und Soziale Teilhabe innerhalb unseres fünfjährigen Projektes ein wesentlicher Schwerpunkt.
Was sind für Sie zentrale Herausforderungen, mit denen Sie innerhalb der Projektlaufzeit konfrontiert wurden?
Die wohl zentralste Herausforderung bestand für mich in den geringen personellen Kapazitäten der Kooperationspartner im Projekt sowie die Kommunikation zwischen den einzelnen hierarchischen Ebenen der Partner. So waren aus Sicht der Führungsebenen der Partner durchaus ausreichend zeitliche Kapazitäten für eine Zusammenarbeit im Projekt vorhanden, dies sah aus Sicht der Mitarbeitenden der Partner, die mit uns im Projekt zusammenarbeiten sollten, allerdings anders aus. Diese hätten zwar sehr gern viel Zeit in die Arbeit im Projekt investiert, konnten den dazu notwenigen zeitlichen Aufwand, der mit solch einer Zusammenarbeit verbunden gewesen wäre, zusätzlich zu ihrem üblichen Aufgabenspektrum gar nicht leisten. Aber auch wir vom Jobcenter Ostholstein hätten mehr Mitarbeitende im Projekt gebraucht als die vier Fallmanager, mit denen wir es letztlich durchgeführt haben. Hätten wir mehr Mitarbeitende gehabt, hätten wir vermutlich noch mehr Teilnehmende aufnehmen und die im Projektantrag angesetzten Zielwerte besser erfüllen können. Wir hatten mit deutlich weniger freiwilligen Teilnehmende im Projekt gerechnet als mit den rund 300, die wir in das Projekt aufgenommen haben.
Eine weitere Herausforderung stellte Corona da.
Auch waren die Zuständigkeiten und ein gegenseitiges Verständnis über die Aufgaben der Akteure, die in die Betreuung der Kunden im Projekt eingebunden waren, teilweise intransparent beziehungsweise unklar und sind es teilweise noch immer.
Das Thema soziale Isolation und Einsamkeit stellte sich ebenfalls als herausfordernd heraus und wurde durch den Ausbruch des Corona-Virus 2020 noch bedeutsamer. Viele unserer Kunden, die am Projekt teilnahmen, hatten sich zu Beginn des Projektes, am 01.11.2019 in einer unter anderem durch ihre lange Arbeitslosigkeit bedingte soziale Isolation befunden. Das besserte sich im Zuge des Projektverlaufes deutlich. Das Eintreten von Corona und die im Zuge des Virus eintretenden Kontaktbeschränkungen wiederum waren in diesem Zusammenhang ein deutlicher Rückschlag für uns.
Mit welchen Lösungsansätzen sind Sie diesen Herausforderungen gegenübergetreten?
Wir haben die Termine, die mit den Kunden und unseren Kooperationspartnern stattgefunden haben, gebündelt, um den zeitlichen Aufwand möglichst gering zu halten. Das hieß konkret, dass die Kooperationspartner nur punktuell und je nach Bedarf zu uns gekommen sind, d.h. wenn es mehrere Kunden gab, über die wir gemeinsam mit unseren Kooperationspartner sprechen wollten. Auch haben wir versucht, den Austausch über die eigene Arbeit beziehungsweise die Fallbesprechungen zu steigern, um Zuständigkeiten und Fragestellungen möglichst schnell klären zu können und für mehr Transparenz zu sorgen.
Auf die mit Corona einhergehenden Herausforderungen haben wir reagiert, indem wir versuchten, über einen telefonischen Kontakt oder Video-Telefonie unseren Kunden zu signalisieren, dass wir für sie da sind. Ergänzend unterstützte uns psychologisch arbeitendes Personal aus einem anderen Projekt bei der Betreuung unserer Kunden.
Ausgehend von Ihren im Projekt gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen: Mit welchen Maßnahmen können Arbeitssuchende mit komplexen gesundheitlichen Einschränkungen dabei unterstützt werden, ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen, einer drohenden (Teil-)Erwerbsminderung entgegenzuwirken sowie ihre gesellschaftliche und berufliche Teilhabe zu verbessern?
Wie bereits erwähnt, stellte sich für uns im Zuge des Projektes heraus, dass der Aspekt Gesundheit, insbesondere psychische Gesundheit, im Rahmen der Erwerbsfähigkeit eine sehr große Rolle spielt. Aus meiner Sicht wäre eine wichtige Maßnahme, dass gesetzliche Kulissen geschaffen werden, die explizit vorsehen, dass Fallmanager der Jobcenter sozial-gesundheitsorientiert arbeiten dürfen. In diesem Zusammenhang empfinde ich gleichzeitig ein Informieren und Sensibilisieren der Mitarbeitenden gegenüber Gesundheitsthemen als unerlässlich. Dies könnte beispielsweise in Form von Fortbildungen und Schulungen für die Mitarbeitenden geschehen. Zusätzlich wäre es in meinen Augen wichtig, dass den Mitarbeitenden der Jobcenter höhere zeitliche Kapazitäten für die Betreuung ihrer Kunden zur Verfügung stehen, der Betreuungsschlüssel entsprechend angepasst wird und sich die einzelnen Leistungsträger mehr austauschen und vernetzen.
Welche Erkenntnisse, die Sie innerhalb der Projektlaufzeit gewinnen konnten, würden Sie als besonders wichtig bezeichnen?
Kommunikation und Austausch stellten sich als sehr wesentlich dafür heraus, effektiver arbeiten zu können – sich das gemeinsame Ziel, nämlich den Kunden zu helfen, klarzumachen. Ganz nach dem Motto: „Redet einfach miteinander, tauscht euch aus!“
Wenn Sie auf die Zielsetzung des Projekts sowie dessen Verlauf zurückblicken: Wo sehen Sie nach Abschluss von ICh weiteren Forschungs- und Handlungsbedarf und welche Fragestellungen würden Sie in diesem Kontext benennen?
Aus meiner Sicht würde es die Arbeit der im Rahmen einer Betreuung von SGB II Beziehenden relevanten Personengruppen erheblich einfacher und verbindlicher gestalten, wenn es eine zentrale Datenplattform gäbe. Über diese könnten die Integrationsfachkräfte für ihre Arbeit relevante Daten zu den jeweiligen Beziehenden zentral abrufen. So wäre es auch möglich, zeitgleich in Kenntnis nicht nur über den aktuellen Gesundheitszustand der Kunden sondern auch über ihren Stand der Versorgung zu sein. Ich denke hier an ein Äquivalent zur E-Akte, wie es sie bereits im Gesundheitswesen gibt – nur eben für uns als Integrationsfachkräfte.
Auch würde es unsere Tätigkeit erheblich unterstützen, wenn unsere von mehrfachen gesundheitlichen Einschränkungen betroffenen Kunden ein persönliches Budget erhielten, mit dem sie beispielsweise leichter psychologische oder allgemeinärztliche Unterstützung in Anspruch nehmen könnten – etwa dann, wenn die für sie geeigneten spezialisierten Ärztinnen und Ärzte sich nicht in unmittelbarer Nähe befinden, sondern längere Anfahrtszeiten nötig machen.
Alternativ beziehungsweise zusätzlich wäre es mit Blick auf unseren Kundenstamm im Projekt noch günstiger, sofort vor Ort, beispielsweise bei uns am Jobcenter, Fachpersonal einzustellen, welches sich auf kurzen Wegen um Kunden mit psychischen Erkrankungen kümmern könnte.
Ziele des Projektes
Das Projekt ICh sollte die Betreuung von Menschen mit mehreren gesundheitlichen Problemen verbessern, die vom Jobcenter Ostholstein unterstützt werden.
Ziel war es, durch bessere Zusammenarbeit mit Partnern (z. B. Rentenversicherung, Krankenkassen) kürzere Wege für die Betreuung zu schaffen und weniger Bürokratie zu ermöglichen.
Auch sollten die individuellen Bedürfnisse der Menschen stärker in den Mittelpunkt gestellt und psychische Belastungen besser berücksichtigt werden.
Außerdem sollte das gegenseitige Verständnis zwischen den beteiligten Einrichtungen verbessert werden.
Besonders wichtige Themen
Im Projekt wurde deutlich, dass psychische Erkrankungen bei vielen Kundinnen und Kunden ein zentrales Problem sind, das oft durch Langzeitarbeitslosigkeit und Armut ausgelöst wird.
Das führte dazu, dass Themen wie Einsamkeit und fehlende soziale Teilhabe im Projektverlauf besonders wichtig und intensiv bearbeitet wurden.
Herausforderungen im Projekt
Eine besondere Herausforderung bestand im Personalmangel bei den Kooperationspartnern: Die Mitarbeitenden hatten kaum Zeit für zusätzliche Aufgaben.
Auch im Jobcenter selbst gab es zu wenig Personal für das Projekt.
Es kam mehr Resonanz als erwartet: Rund 300 Teilnehmende – viel mehr als ursprünglich geplant.
Die Corona-Pandemie stellte für das Projekt einen starken Rückschlag da - vor allem wegen der sozialen Isolation der Teilnehmenden.
Es gab Unklarheiten in Zuständigkeiten und Kommunikationsproblemen zwischen den Partnern.
Lösungsansätze gegenüber diesen Herausforderungen
Termine wurden gebündelt, um den Aufwand zu reduzieren: Kooperationspartner kamen nur dann ins Jobcenter, wenn mehrere Fälle besprochen wurden.
Der Austausch unter den Partnern im Projekt wurde intensiviert, um Zuständigkeiten zu klären und transparenter zu arbeiten.
Während Corona wurde der Kontakt telefonisch oder per Video aufrechterhalten.
Zusätzlich half psychologisch geschultes Personal aus einem anderen Projekt bei der Betreuung psychisch belasteter Kundinnen und Kunden.
Besonders wichtige Erkenntnisse
Psychische Gesundheit ist ein zentrales Thema für die berufliche Teilhabe.
Besonders deshalb braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen und Schulungen der Mitarbeitenden im Fallmanagement zu gesundheitlichen Themen, damit diese auch gesundheitsorientiert arbeiten dürfen.
Der Betreuungsschlüssel sollte verbessert werden, damit mehr Zeit für jeden einzelnen Menschen bleibt.
Auch sollte die Vernetzung zwischen den verschiedenen Einrichtungen, die für Arbeitslose zuständig sind, gestärkt werden.
Handlungsempfehlungen aus dem Projekt
Mehr gesundheitsorientierte Weiterbildung für Fallmanagerinnen und Fallmanager.
Bessere personelle Ausstattung in Jobcentern, um individuelle Betreuung zu ermöglichen.
Engere Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen allen Beteiligten, die für Arbeitslose mit mehrfachen gesundheitlichen Einschränkungen zuständig sind.
Gesetzliche Anpassungen, damit Gesundheit in der Arbeitsvermittlung ernst genommen werden kann.
Weiterer Forschungs- und Handlungsbedarf
Eine zentrale Datenplattform für Fallmanagerinnen und Fallmanager, ähnlich der elektronischen Gesundheitsakte, wäre wünschenswert, damit diese die Gesundheits- und Versorgungsdaten ihrer Kundinnnen und Kunden besser im Blick zu behalten können.
Es sollte ein persönliches Budget für Betroffene geschaffen werden, um nötige psychologische oder medizinische Hilfe leichter in Anspruch nehmen zu können – auch bei längeren Anfahrtswegen.
Idealerweise sollte es im Jobcenter vor Ort psychologisch geschultes Personal geben, das schnell und ohne Umwege helfen kann.