Reha-Integrativ – Integrative stationäre Behandlung von Versicherten mit besonderen beruflichen Problemlagen

Unsere Fragen wurden im Februar 2025 von Axel Kobelt (Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover) beantwortet.


Welche Ziele haben Sie sich im Projekt Reha-Integrativ gesetzt?

 Unser Hauptziel war der langfristige Erhalt der Erwerbsfähig- und tätigkeit der Versicherten im Rahmen einer Vermeidung von Chronifizierungsprozessen. Dieses Ziel versuchten wir im Projekt voranzutreiben, indem wir (a) eine rasche, d.h. innerhalb der ersten drei Monate der AU stattfindende, psychotherapeutische Behandlung der Versicherten einleiteten, die wiederum (b) einen Fokus auf individuelle, akute Bedürfnisse der Versicherten richtete. Die Kombination aus Intensivphase und anschließender regulärer psychosomatischer Rehabilitation sollte die Wirksamkeit der Behandlung deutlich erhöhen – und damit die Chance auf die Wiedereingliederung ins Erwerbsleben.

 

Gibt es Themen und Schwerpunkte, die sich für Sie im Projekt als besonders wichtig herausgestellt haben, wenn es um die Verfolgung dieser Ziele geht? Falls ja: Welche?

Ja, das Thema Zugang stellte sich für uns innerhalb des Projektverlaufs als besonders wichtig heraus. Um eine frühzeitige Behandlung ansetzen zu können, mussten Personen der Zielgruppe identifiziert werden bzw. deren Behandlung durch ein proaktives Herantreten an die Betroffenen eingeleitet werden: Wir boten Versicherten, die bereits einen Antrag auf Rehabilitation gestellt hatten, aber sich erst am Beginn einer Chronifizierung der Erkrankung befanden, eine Teilnahme an Reha-Integrativ an. Diese Versicherten waren die weniger als drei Monate arbeitsunfähig, hatten allerdings bereits einen Antrag auf psychosomatische Reha gestellt.

Bei psychischen Erkrankungen ist die Hemmschwelle ärztliche Behandlung aufzusuchen teilweise hoch (Scham) oder die Eigenaktivität ist durch die Erkrankung stark eingeschränkt (eine Antragsstellung kann z.B. eine hohe Hürde sein). Insofern stellte sich uns sich die Frage, wie der Zugang zu ärztlicher oder psychotherapeutischer Behandlung oder auch zu präventiven Maßnahmen in einem sehr frühen Stadium psychischer Erkrankung erhöht werden kann.

 

Was sind für Sie zentrale Herausforderungen, mit denen Sie innerhalb der Projektlaufzeit konfrontiert wurden? Mit welchen Lösungsansätzen sind Sie diesen Herausforderungen gegenübergetreten?

Innerhalb des Projektes wurden wir mit zwei verschiedenen Herausforderungen konfrontiert.

Bedingt durch die Corona-Pandemie kam es zu Klinikschließungen und einer zeitweisen Verringerung der im Projekt behandelten Personen. Glücklicherweise konnte die Projektlaufzeit entsprechend verlängert werden, um die angestrebte Stichprobengröße annähernd zu erreichen.

Eine weitere Herausforderung stellte die Projektbeteiligung durch die Gesetzliche Krankenversicherung da: Die Krankenkassen lehnten eine Kostenbeteiligung ab, sodass die Kostenübernahme anders realisiert werden musste. Dies konnte in Form einer Kostenübernahme durch die Deutsche Rentenversicherung erfolgen.

 

Ausgehend von Ihren im Projekt gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen: Welche Maßnahmen halten Sie für besonders wichtig, wenn es darum geht, die berufliche Rückkehr psychisch kranker Erwerbsfähiger zu unterstützen? Welche Handlungsempfehlungen würden Sie in diesem Zusammenhang aussprechen und welche zentralen Erkenntnisse haben Sie innerhalb des Projektverlaufs gewonnen?

Folgende Erkenntnisse halten wir für besonders wichig:

Nicht jede Therapieform stellte sich für alle Personen als gleichermaßen geeignet heraus noch führte eine Steigerung der Psychotherapiedosis bei vorgegebener Behandlungsdauer nicht automatisch zu einer höheren Wirksamkeit der psychosomatischen Rehabilitation.

Wir halten es stattdessen für sinnvoll, wenn eine differenzierte Einbeziehung der Eingangsvoraussetzungen (wie AU-Dauer vor der Reha oder die Krankheitsschwere bei Aufnahme) sowie der Reaktivität der Versicherten (z.B. durch wöchentliche Messung der Symptomschwere) zu einer individualisierten Bewertung von Interventionsdauer und -intensität genutzt werden könnten. Die Ergebnisse aus dem Modellprojekt Reha-Integrativ lassen darauf schließen, dass weniger schwer Erkrankte, die innerhalb der ersten 3 Monate einer AU eine intensivierte Reha durchlaufen, gute Chancen auf eine reliable Verbesserung ihrer Symptomatik haben, während bei fortschreitender AU bzw. Erkrankungsschwere dies eher nicht zu erwarten ist. Eine frühzeitige (innerhalb der ersten 3 Monate einer AU) und ggf. kürzere Intervention als die Regelversorgung könnte als Präventionsmaßnahme im frühen Stadium einer affektiven Störung (wenn die Symptombelastung noch nicht schwerwiegend ist) gleichermaßen Menschen in ihrem persönlichen Leiden entlasten sowie Chronifizierung und Teilhabehemmnissen vorbeugen. Entscheidend ist die rechtzeitige und zuverlässige Identifizierung infrage kommender Versicherter.

 

Wenn Sie auf die Zielsetzung des Projekts sowie dessen Verlauf zurückblicken: Wo sehen Sie nach Abschluss von Reha-Integrativ weiteren Forschungsbedarf und welche Fragestellungen würden Sie in diesem Kontext benennen?

Innerhalb des Projektes sollte beantwortet werden, inwiefern die Therapiedosis direkte Effekte auf Symptomreduktion und sozialmedizinische Parameter hatte. Allerdings spielen bei der Rückkehr in die Arbeit nach psychischer Erkrankung u.a. auch die Behandlungsbedürfnisse, die Arbeitsmotivation sowie Selbstregulationsfähigkeiten, bspw. im Sinne von Selbstwirksamkeitserleben, eine große Rolle. Fraglich ist, inwiefern diese sich durch eine Therapiedosiserhöhung verbessern ließen oder inwiefern sie bei einer Therapiedosiserhöhung moderierenden oder mediierenden Einfluss haben könnten.

Aus den qualitativen Interviews mit einer randomisierten Teilstichprobe ergaben sich Hinweise, dass Kontextveränderungen oder individuelle Kontrollüberzeugungen Einfluss auf die Symptomreduktion oder die Rückkehr in die Arbeit haben können. Fraglich wäre, inwiefern günstige Kontrollüberzeugungen oder Steigerung der Resilienz Personen in ihrer Bewältigung schwieriger Kontextfaktoren unterstützt und inwiefern dies durch Therapiedosiserhöhung gesteigert werden könnte.

Ziele des Projekts

Im Projekt sollte dafür gesorgt werden, dass Menschen mit psychischen Problemen schnell Hilfe bekommen – am besten in den ersten drei Monaten nach ihrer Krankschreibung. So sollte verhindert werden, dass ihre Beschwerden schlimmer werden und sie langfristig nicht mehr arbeiten können. Eine intensive Frühbehandlung sollte die Rückkehr in den Beruf erleichtern.

Besonders wichtige Themen

Wichtig war vor allem der frühe Zugang zur Behandlung. Viele Betroffene holen sich nicht rechtzeitig Hilfe – aus Scham oder weil sie sich nicht selbst organisieren können. Deshalb war es wichtig, aktiv auf diese Menschen zuzugehen und ihnen gezielt die Teilnahme am Projekt anzubieten.

Herausforderungen im Projekt

Es gab zwei große Probleme: Wegen Corona mussten viele Kliniken schließen – dadurch konnten weniger Menschen behandelt werden. Außerdem wollten sich die gesetzlichen Krankenkassen nicht an den Kosten im Projekt beteiligen.

Lösungsansätze gegenüber diesen Herausforderungen

Die Projektlaufzeit wurde verlängert, damit noch genug Menschen teilnehmen konnten. Zusätzlich übernahm die Deutsche Rentenversicherung die Kosten, deren Übernahme die gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt hatten.

Besonders wichtige Erkenntnisse

Mehr Therapie hilft nicht automatisch besser. Wichtig ist, dass die Behandlung zur Person passt.

Besonders gute Ergebnisse zeigten sich, wenn Menschen frühzeitig und nicht schwer erkrankt waren.

Die Behandlungsdauer und -intensität sollten an den individuellen Zustand angepasst werden.

Handlungsempfehlungen aus dem Projekt

Menschen mit psychischen Problemen sollten früh erkannt und behandelt werden – am besten innerhalb der ersten drei Monate.

Kürzere und gezielte Behandlungen könnten helfen, chronische Verläufe zu verhindern und Betroffene schneller wieder am Arbeitsleben teilnehmen zu lassen.

Weiterer Forschungsbedarf

Es sollte weiter erforscht werden, wie stark eine höhere Therapiedosis zum Beispiel auf Sympthome, Arbeitsfähigkeit oder Motivation der Betroffenen wirkt.

Auch sollte untersucht werden, wie persönliche Faktoren wie Selbstvertrauen oder Veränderungen im Alltag die Rückkehr in den Beruf beeinflussen – und, ob Therapie diese Rückkehr gezielt stärken kann.

Womit wurde sich im Projekt Reha-Integrativ beschäftigt?